
Wart kurz, ich google das mal schnell... - Immer verfügbar, aber keine Zeit?

Die Vergleichzeitigung von Arbeit und Freizeit, von Organisation und Entspannung, von Informationsbeschaffung und U-bahnfahren, Fernsehen und whatsapp-schreiben ist unsere neue Realität. Dadurch ergeben sich ganz neue Möglichkeiten und Chancen, das ganze Leben wird dadurch flexibler, Grenzen zwischen einzelnen Lebensbereichen verwischen. Neue Arbeitsmodelle wie das home office ermöglichen neue Formen des Familienlebens.
Viele Familien stolpern hier jedoch regelrecht über neue Herausforderungen, die sie vorher nicht erahnt hatten. Kaum eine Familie, in der die Kinder das sprechende Alter erreicht haben, kennt nicht Diskussionen rund um das Thema Mediennutzung. Fragen wie „wann das erste Smartphone?“ führen Eltern schnell an die Kernfragen der Werte ihrer Erziehung. Spätestens im Teenager-Alter wird das Handy zum sozialen Mittelpunkt des Lebens und Informationstor zur Welt. Die tägliche Zeit, die die Kinder online auf youtube oder mit Nachrichtenschreiben verbringen, ist Gegenstand vieler innerfamiliärer Auseinandersetzungen, für die es längst keine einfachen Antworten mehr gibt. Die „digital natives“ sind keinesfalls alle internetsüchtige Nerds. Vielmehr sind die Jugendlichen oft hochkompetent an technischen Geräten, in die unsereins sich erst mühsam einarbeiten muss und nutzen diese durchaus (auch) sozial und intelligent. Und dennoch sind sie jung und unerfahren und benötigen Anleitung auf ihrem Weg hinaus in die Welt, auch die digitale. Einfach ist hier also gar nichts, und die Familien müssen sich individuell ihre Lösungen er-arbeiten.
So richtig komplex ist jedoch die Situation, wenn Eltern zwar einerseits durchaus ihre Vorstellungen haben, wie sie ihre Kinder eigentlich zu selbstbewussten, kompetenten Mediennutzern erziehen wollen, aber selbst straucheln, um die Balance ihrer “vergleichzeitigten“ Lebensbereiche zu erhalten. Es ist nicht leicht, zu widerstehen, wenn auf dem Bildschirm die Benachrichtigungszeichen aufleuchten: eine Nachricht in der Gruppe der Ballett-Eltern, eine SMS von der Freundin, die Yahoo- App meldet sich und auf facebook passiert auch schon wieder was. Besonders im home office oder bei Selbständigen kann die Nachrichtenflut belastend werden. Immer wieder muss die aktuelle Situation zumindest gedanklich unterbrochen werden, da gleichzeitig bereits auf dem Handy wieder die nächste Aufgabe koordiniert werden muss. Aber auch in den „ganz normalen“ Familienalltag ziehen immer mehr Kommunikationswege ein, um den Alltag durch kleine Absprachen oder Informationsbeschaffung managen zu können. In der whatsapp-Gruppe „Familie“ kann man manchmal leichter alle zum sonntäglichen Familienessen koordinieren oder Absprachen treffen, wer wann wo welches Kind von welcher Freizeitaktivität abholen kann. Vergessen, wann der Elternabend beginnt?„Warte kurz, ich google das schnell...“ Und schon sind längst nicht mehr nur die Kinder wild
 am tippen, sondern oft auch die Eltern. Jetzt mal Hand aufs Herz: auf wie vielen Kanälen gelangen Nachrichten in Ihre Hosentasche? Wie oft sehen ihre Kinder Erwachsene, deren Blick auf einen Bildschirm gerichtet ist?
Und gleichzeitig (bewusstes Wortspiel) erhält ein neuer Trend auch in Elternratgebern immer mehr Bedeutung: Achtsamkeit. Ohne dass hier der Platz wäre, dieses Konzepts in seiner ganzen Tiefe zu erläutern, ist es verständlich und sinnvoll, dass sich immer mehr Menschen mit dieser Idee auseinander setzen und auf ihr Familienleben und die Beziehung zu ihren Kindern übertragen möchten.
Achtsam miteinander sein – was bedeutet das? Ganz kurz zusammengefasst: Leben im hier und jetzt, mit allen Sinnen und auch allen Gedanken einfach nur da-sein. Sich mit dem Gegenüber unterhalten, zuhören, wirklich erfahren, was er mir sagen möchte, was ihm wichtig ist. Nur in diesem Moment sein und nicht gleichzeitig in Gedanken noch bei drei anderen Themen. Da passt einfach kein Handy dazwischen. Dieses Da-Sein und zuhören ermöglicht echte Beziehungen, auf deren Grundlage auch Auseinandersetzungen über das wann und wieviel gut ausgehalten werden können. Das gilt für Freunde, Partner wie Kinder gleichermaßen und erfordert – Achtung jetzt kommts – erstaunlich wenig Zeit. Dies ist also ein Appell für Qualität statt Quantität, eine begrenzte Zeit des Tages ganz ungleichzeitig im Hier und Jetzt zu verbringen, und damit nicht nur als Vorbild für Ihre Kinder zu glänzen, sondern sich auch selbst ganz bewusst eine ganz eindimensionale Pause zu gönnen. Vom „wart mal ganz kurz, ich muss nur schnell noch...“ hin zu: „Ich warte mal auf dich“.
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